Kernfusion: ITER in Schwierigkeiten, Laserfusion statt Tokamak?

Interne Dokumente sollen belegen, dass der Fusionsreaktor ITER später fertig wird und mehr kosten wird, als bisher bekannt. Doch die EU hält zum Projekt.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 130 Kommentare lesen
Elementary,Particles,Series.,Interplay,Of,Abstract,Fractal,Forms,On,The

(Bild: agsandrew/Shutterstock.com)

Lesezeit: 4 Min.

Laut einem Bericht des Magazins "Scientific American" wird sich die Inbetriebnahme des Fusions-Forschungsreaktors ITER (International Thermonuclear Experimental Reactor) noch weiter verzögern und sehr viel teurer werden, als bisher offiziell bekannt gegeben. Der Bericht stützt sich dabei auf interne, vertrauliche Dokumente, die erst im Rahmen einer Klage freigegeben wurden.

"Ich habe eine Klage nach dem U.S. Freedom of Information Act angestrengt, um das Ausmaß der erwarteten Termin- und Kostenprobleme des ITER aufzudecken", schreibt Charles Seife in dem Artikel. "Bislang war die Klage teilweise erfolgreich. Sie hat teilweise geschwärzte Dokumente zutage gefördert, aus denen hervorgeht, dass das Projekt nach internen Schätzungen von ITER im November 2021 bereits 17 Monate in Verzug war. Zum Zeitpunkt der ITER-Ratssitzung im Juni 2022 hatte sich die Zahl der Verzögerungen auf etwa 35 Monate verdoppelt – genug, um das ohnehin schon aufgeblähte ITER-Budget leicht um Milliarden von Dollar zu erhöhen."

Konkrete Zahlen nennt Seife allerdings nicht – weder was die Kostensteigerung angeht, noch zu dem voraussichtlichen Startdatum. 2018 lagen die geschätzten Kosten für das Projekt bei 22 Milliarden Dollar. Bislang hieß es zudem, 2025 sollte der Reaktor erstmals – mit Wasserstoffplasma – in Betrieb gehen und ab 2035 mit Deuterium und Tritium laufen.

Ob, und wie sehr sich das ändert, ist noch unklar. Tatsächlich haben die ITER-Konstrukteure diverse Probleme, die allerdings auch vor dem Scientific-American-Artikel bereits bekannt waren: Zum einen weisen die Maße von zwei Segmenten des Vakuumgefäßes zu große Abweichungen auf. Zum anderen gibt es Korrosionsspuren am Hitzeschild – dort könnte Helium austreten.

Nicht zuletzt verlangt die Französische Atomaufsicht von den ITER-Konstrukteuren einen Nachweis über Strahlenschutz-Maßnahmen. Die Pressemitteilung zur aktuellen Sitzung des Kontrollrats spricht allerdings nur vage davon, dass man die "Verzögerungen aufholen" müsse. Eine Idee, die offenbar diskutiert wird, ist zudem, den Reaktor 2024 in Betrieb zu nehmen, und "nicht essentielle Bestandteile" später zu installieren.

Trotz diesen für das Projekt eher schlechten Nachrichten ist derzeit aber kein Abrücken von ITER erkennbar. Zwar hat die EU ihren Beitrag gekürzt, aber der EU-Anteil für ITER wird 2024 immer noch bei rund 550 Millionen Euro liegen. Warum auch nicht? Die Magnetfusion produziert nicht nur wissenschaftliche Erfolge, sondern scheint zumindest privaten Investoren auch sehr attraktiv: Insgesamt arbeiten mittlerweile rund 30 private Unternehmen an kleinen Fusionsreaktoren – die meisten davon im Bereich magnetische Fusion – die insgesamt bereits knapp fünf Milliarden Dollar an Kapital eingesammelt haben. Auch hier in Deutschland: Das Start-up Proxima Fusion will bis 2030 einen Reaktor nach dem Stellarator-Prinzip bauen.

Auch die jüngste Bekanntmachung des Forschungsministeriums, in dem die Bundesregierung Fördergelder für die Laserfusion ankündigt, ist da kein grundsätzlicher Kursschwenk. Möglicherweise hat das Forschungsministerium bei seiner Ankündigung die positive Berichterstattung zur Laserfusion nutzen wollen. Ende vorigen Jahres war es dem Lawrence Livermore National Lab in Kalifornien erstmals gelungen, eine Kernfusion zu erzeugen und dabei mehr Energie freizusetzen, als in Form von Laserlicht hineingesteckt wurde. (Wenn man die elektrische Energie für den Betrieb des Lasers zugrunde legt, fällt die Energiebilanz des Experimentes allerdings sehr viel schlechter aus.)

Tatsächlich läuft die Diskussion über eine staatliche Förderung der Forschung zu Laserfusion aber schon länger. Und mit Focused Energy und Marvel Fusion gibt es in Deutschland gleich zwei Start-ups, die nicht nur kräftig Kapital einsammeln, sondern auch über viel Erfahrung und Know-how in Sachen Ultrakurzpuls-Hochleistungslaser verfügen. Was liegt da näher, als das FDP-Mantra der "Technologieoffenheit" auch hier umzusetzen. Eine erste Förderung über die Innovationsagentur SPRIND ist bereits angelaufen.

(wst)